Die älteste Fahrschule des Dillkreises…
… ist 89 und geht in die vierte Generation
Wo früher mit dem legendären Opel P4 geschult wurde, erhalten die Fahrschüler heute Tipps aus dem Internet.
Ein Zeitungsbericht von Ralf-Stefan Triesch:
HAIGER – Waren das noch Zeiten. Als Walter Schmidt vor fast genau 75 Jahren in Haiger seine Fahrschule gründete, da bildete er seine Schüler mit dem legendären Opel P4 aus. Das Fahrzeug hatte keine Doppelpedale – und so musste der Fahrlehrer auch aus eigenem Interesse gaaaanz gut darauf achten, dass seine Schützlinge im Verkehr gut zurecht kamen. Der Verkehr floss langsam, es gab nicht viele Autos in der Region, die Anzahl der Fahrstunden war gering, und eine Prüfungsfahrt war meist nicht länger als von der Stadtmitte zum Bahnhof und zurück. „Zur Not griff der Fahrlehrer seinerzeit mit der Handbremse ein“, erklärt Erwin Schmidt schmunzelnd. Er übernahm die Fahrschule 1961 von seinem Vater und ist stolz, dass mittlerweile neben Sohn Wolfgang auch Enkelin Manuela im Familienbetrieb mitarbeitet. Die vierte Generation der ältesten Fahrschule des Dillkreises ist also gesichert.
Im Februar 1934 machte sich der gelernte Kfz-Meister Walter Schmidt, der zuvor unter anderem im Kabelwerk Thielmann gearbeitet hatte, mit seiner Fahrschule selbstständig. Der Vater von vier Jungs war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt. 27 Jahre später stieg Junior Erwin in die Firma ein. Er war in Gütersloh zum Fahrlehrer ausgebildet worden und machte sich 1964 mit einer eigenen Fahrschule selbstständig. Zu dieser Zeit war der VW Käfer das Schulfahrzeug der Schmidts – und jetzt hatten auch die Doppelpedale Einzug gehalten, die es dem Lehrer ermöglichen, auf die Bremse zu treten oder per Gaspedal der Fahrt des Schülers etwas Geschwindigkeit zu verleihen.
In den Fußstapfen seines Vaters marschierte Wolfgang Schmidt zur Selbstständigkeit. Auch er absolvierte eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und wechselte nach der Bundeswehr auf die Fahrlehrerschule in Bielefeld. 1981 stieg er beim Vater ein, seit drei Jahren läuft die Fahrschule auf seinen Namen. Vater Erwin ist aber nach wie vor am Steuer mit von der Partie.
Von einem PS zu vielen PS
Besonderen Spaß hat der Senior daran, dass Enkelin Manuela ebenfalls den „Familien-Beruf“ ergriffen hat. Sie absolvierte am Dillenburger Landgestüt eine Ausbildung zur Pferdewirtin, ehe sie von einem PS zu vielen Pferdestärken wechselte und vor wenigen Monaten die Prüfung zur Fahrlehrerin ablegte. Im Praktikum brachte ihr Papa Wolfgang, der auch Ausbildungsfahrlehrer ist, die letzten Tricks und Kniffe bei. Die 22-Jährige hat die theoretische Ausbildung der Fahrschüler in der Haigerer Sudetenstraße übernommen, ihr Vater vermittelt in der „Zweigstelle“ in Fellerdilln Fachwissen. Die Familie deckt alle Führerscheinklassen (außer Bus) ab – vom kleinen Roller oder Motorrad über Pkw und Pkw mit Anhänger bis hin zum schweren Lkw mit Hänger.
Spricht man mit den drei Schmidts, so wird schnell deutlich, dass sich das Bild des Fahrlehrers in den letzten Jahren stark verändert hat. „Früher haben wir den Leuten das Autofahren beigebracht, das ging relativ schnell“, sagt Wolfgang Schmidt: „Heute müssen wir ihnen zeigen, wie man im richtigen Moment die richtige Entscheidung trifft.“ Er appelliert an das Verantwortungsbewusstsein seines Berufsstandes und legt Wert auf eine umfassende Ausbildung. Schmidt geht davon aus, dass die Schüler im Schnitt 20 Übungsstunden absolvieren sollten. „Das sollte auch den Eltern die Ausbildung ihrer Kinder Wert sein – wer kann schon nach zehn oder zwölf Übungsstunden Tennis oder Golf spielen?“
Ebenso wie Vater Erwin („Ich steige meistens gerne ins Auto“) hat auch Wolfgang Schmidt Spaß an seinem Job. „Es ist interessant und abwechslungsreich“, sagt der einstige Fußball-Oberliga-Torwart, auch wenn es hier und da mal kleine Pannen gibt. So steuerte eine Schülerin, die zuvor bereits mehrfach die „Schikane“ am Herborner Rehberg gemeistert hatte, plötzlich und unvermittelt in die Notfallspur. Dem perplexen Fahrlehrer beschied sie: „Sie haben nicht gesagt, dass ich links fahren soll, also bin ich geradeaus gefahren.“
Für Schmunzeln in der Fahrlehrer-Familie sorgte auch der Prüfling, der als 13. Kandidat zum Fahren antreten sollte. „Das ist ja langweilig, es ist noch niemand durchgefallen“, begrüßte der Schüler den Prüfer. Dieser antwortete „Warten Sie mal ab!“ – und kurze Zeit später war der forsche junge Mann durchgefallen.
Mit den Prüfern kommen die Schmidts in der Regel gut aus. „Für uns ist wichtig, dass sie prüfen, was wir ausbilden. Schlecht wäre es, wenn wir nur ausbilden würden, was geprüft wird“, weiß Manuela Schmidt.
Den geänderten Bedingungen im heutigen, hektischen und unübersichtlichen Straßenverkehr begegnet die Fahrschule Schmidt mit unterschiedlichen Initiativen. So bietet Erwin Schmidt neuerdings freiwillige Schulungsfahrten für Menschen an, die zwar einen Führerschein besitzen, trotzdem aber mit Problemen zu kämpfen haben, oder sich nicht mehr ans Steuer trauen. „Viele Menschen fühlen sich in brenzligen Situationen überfordert oder kommen mit neuen Regeln nicht klar“, weiß Erwin Schmidt. Im eigenen Auto des „Schülers“ will der Routinier „konsequent an Problemen arbeiten“. Nach kurzer Zeit, da ist sich der erfahrene Lehrer sicher, kehren Sicherheit und Spaß am Autofahren zurück.
Dass Menschen „Manschetten“ haben, sich hinters Steuer zu klemmen, kann Erwin Schmidt gut verstehen. „Die Atmosphäre hat sich geändert, vor allem die Toleranz der Verkehrsteilnehmer untereinander hat stark nachgelassen“, hat der Senior festgestellt, der nie einen selbstverschuldeten Urlaub hatte. Er selbst ist seit 43 Jahren auf den Straßen der Region unterwegs, Sohn Wolfgang bereits 23 Jahre. Bei einer Laufleistung der Fahrschulautos von zwischen 50 000 und 70 000 pro Jahr addiert sich die Fahrstrecke der Familie auf stolze 3 300 000 Kilometer (in Worten: 3,3 Millionen Kilometer). Anders ausgedrückt: Die Autos der Familie haben bislang 518 Mal die Erde (mittlerer Radius 6371 km) umrundet… Und noch ist kein Ende abzusehen.
Im Gegenteil: Junior Wolfgang geht mit der Zeit und hat seine Fahrschule „Zukunfts-fitt“ gemacht, indem er eine beachtliche Homepage ins Internet gestellt hat (www.fahrschule-ws.de). Darauf finden Interessierte Tipps für Theorie und Praxis. Alle interessanten (und schwierigen) Ecken der Region, die die Fahrschul-Volkswagen regelmäßig passieren und die auch zu den „Höhepunkten“ der Prüfungs-Fahrten gehören, werden im Bild dargestellt und beschrieben. Außerdem finden sich alle Fahrschüler mit Bild auf der Internetseite wieder. „Natürlich braucht man keinen Computer, um den Führerschein zu machen“, räumt Wolfgang Schmidt ein, „aber da für die meisten jungen Leute heutzutage selbstverständlich im Internet unterwegs sind, mussten wir reagieren“. Die Besuche auf der Homepage geben dem Fahrlehrer Recht. „Bei uns ist richtig Betrieb“, freut sich Schmidt.